Der Pflichtverteidiger!
Da muss ich 25 Jahre Herrenfußball spielen und mit fast 43 Jahren doch noch einmal wegen Personalmangels als Verteidiger ran. Von so etwas träumt man nicht. Nicht einmal wenn man abends vorher schwer gegessen hat. Ich hoffe, dass ich zeigen konnte, dass ich für den Posten keine wirkliche Alternative bin.
Was haben Fabio Cannavaro, Paolo Maldini, Marcel Desailly, John Terry und ich gemeinsam? Richtig, wir haben alle als rechter Innenverteidiger agiert. Während die ersten vier Monsterschlachtschiffe ihres Metiers darstellen, jeder für sich ein paar Hundert Ligaeinsätze und Dutzende Länderspiele absolvierte und selber nicht mehr wissen wie viele Pokale und Meisterschaften sie eigentlich gewonnen haben oder gegnerische Schienbeine und Knöchel zur Fraktur führten, hatte ich am gestrigen Freitagabend meine gezwungene Premiere auf dieser Position und durfte mich gleich um den Toptorjäger des Tabellenzweiten vom TuS Hemdingen-Bilsen kümmern. Das ist wie der Sprung ins kalte Wasser und dabei ist man passionierter Nichtschwimmer.
Meinen kuscheligen Platz im Sturm neben Olli bekleidete dafür Mo. Die Außenbahnen wurden von Jürgen auf Links und André auf der rechten Seite Rasen-strapazierend beackert, Martin hinter den Spitzen, Duffy und Dr. Moormann im defensiven Mittelfeld. Draußen versuchten Holger, Dave und Fliege, die ehemalige Kiste, nicht den frühzeitigen Tod durch Erfrieren zu erleiden. Christian im Tor, die Abwehr bildeten also Köhli, Michael und… tja… ich. Und selbst wenn ich es hier jetzt schreibe, kommt es mir noch immer unwirklich vor. Kneif mich mal einer in den Poschi, ich glaub, ich träume nämlich!
In Abwesenheit der etatmäßigen Deckhengste Dedl Zimmermann und Seppel Bahr war der Pool an gelernten Defensivkräften sehr überschaubar geworden. Woher also einen nehmen, wenn man ihn nicht schnitzen kann? Und als ich dann in der Kabine das Trikot mit der Nummer 2 zugeworfen bekam, zog mein bisheriges fußballerisches Leben an mir vorbei (in schwarz-weiß natürlich) und in der Mannschaft rumorte es deutlich hörbar. Aber warum, bei Teutates, ich? Was Coach Arne Schümann da geritten hatte, dass er beim gedanklichen Durchgehen des Kaders mich als Pflichtverteidiger bestimmte, bleibt wohl sein Geheimnis. Es lebe die Schweigepflicht. Hätte man mich gefragt, hätte ich mit Sicherheit anders entscheiden, aber egal. Arnes Ansage: „Betrachte es als Vertrauensbeweis!“ war für mich Wort genug und den Rest erzählt der einzigartige Udo Lindenberg mit dem Song zum Spiel.
Mit ein paar Tipps von Bernd ging ich ins Spiel und entscheid mich die Position nach dem Vorbild eines Jürgen Kohler (nur ohne Pornobalken auf der Oberlippe) zu interpretieren – hart am Mann, aber fair in der Sache. Bock drauf hatte ich jedoch immer noch nicht.
Zwar arbeitete das Mittelfeld vor mir auf Hochtouren und ließ wenig über die Mitte an Gegnerchancen zu, dennoch rutschte der eine oder andere Ball durch und ich musste meiner Unerfahrenheit in der ungewohnten Rolle bald Tribut zollen. War ich es über die Jahrzehnte gewohnt, dass irgendein vierschrötiger Grobmotoriker mit Hang zur körperlichen Gewalt mir die ganze Zeit hinterherrennt, war es nun an mir der gegnerischen Nummer 9 auf den Fersen zu bleiben. Was für ein Scheißjob! Ich blieb näher an ihm dran als eine Tapete an der Wand, aber drei-, viermal konnte der Neuner sich wegmogeln und gen Christians Tor ziehen. Bei zwei Gelegenheiten ohne Ball, weil ich absichtlich und in vollem Bewusstsein Hand spielte (gab Gelb). Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.
Die zweite Halbzeit lief dann für mich deutlich besser, ich hab sogar einmal die Mittellinie überschritten. Soweit ich es mitbekommen hab und nicht die Trikotrückseite meines Gegenspielers auswendig gelernt habe, war es ein zäher, verbissener Kick mit vielen Nickligkeiten. André und sein Gegenspieler werden so schnell wohl keine Freunde mehr und fahren nächsten Sommer nicht gemeinsam zum Zelten an die Ostsee. Die Auseinandersetzung gipfelte kurz vor Schluss, als der Hemmdinger meinte André noch mal kurz die Beine brechen zu wollen. Aufruhr, Antanzen, Stress und Rudelbildung die Folge. Dr. Moormann verlor kurzfristig leicht die Contenance und wollte dem Tunichtgut nonverbal die Leviten lesen, denn was Worte nicht vermögen, das regelt halt eine satte Schelle an den Kanisterkopp oder zumindest ein bisschen Schulhofgeschubse. Alle gingen irgendwie dazwischen, Michael forderte Christian zum sofortigen Klammerblues auf, der hatte aber Lust auf Pogo. Geschrei, Beleidigungen, erwachsene Männer entdecken den Proleten in sich. Der Schiri wirkte hilflos, aber dank der niedrigen Temperaturen kühlten sich die Gemüter recht schnell wieder ab.
Ein Tor haben wir auch noch geschossen, eher gesagt Michael. Kurz vor Schluss innenspannte er aus etwa 12 Metern mehr mit dem Auge als mit dem Fuß durch ein Gewühl aus Leibern die Kugel rechts flach ins Tor. Zuvor testeten Olli, Duffy, Jürgen und irgendwelche anderen aus, wie hoch sie eigentlich so schießen können. Ziemlich hoch sogar, wenn man mal bedenkt, dass alles über zweimetervierzig zu hoch ist.
Auch das längste Spiel ist irgendwann mal zu Ende und keiner war über den Schlusspfiff an diesem Abend glücklicher als ich. Nächste Woche ist zumindest Seppel (brachte seine Pfandflaschen weg) wieder da. Das hoffe ich zumindest. Die bemerkenswerteste Szene des ganzen Spiels war für mich jedoch später unter der Dusche. Torwart Christian, zuvor wenig gefordert, bewies, dass er ordentlich zulangen kann und feuerte mit der Gewalt eines Schmiedes seine offene rechte Handfläche auf Flieges linke Gesäßhälfte. Schöner Treffer, der Abdruck auf der Backe beweist zwar auch hier eindeutig Handspiel, aber: Den muss er einfach machen!
Fotos: Bernd Nemitz, Arne Tiedemann selbst
Endergebnis: 1:0 (0:0)
Aufstellung: Viemann - Tiedemann, Homburg, Koehler - Patschan, Duffke, Hägemann, Moormann, Pollehn - Siems, Moneim
Einwechselspieler: Scharmer, Jung, Leisner
Tore: Homburg (65. Min.)
Coach: Schümann, Nemitz
Zuschauer: 5 und ein Hund